Mittwoch, 8. Februar 2017



Akademische Ghostwriter






Ein Gespenst geht um an Schweizer Universitäten, und zwar in Form des akademischen Ghostwritings.  Dies zumindest bestätigt ein Blick in die einschlägigen Foren der Studierenden, wo Unternehmen mit einem Stab von spezialisierten Mitarbeitern, aber auch Einzelpersonen recht unverdeckt ihre Dienste anbieten. Freilich fördert auch eine einfache Google-Anfrage eine ansehnliche Liste akademischer Söldner zutage, Einzeltäter wie Unternehmen mit versierten Lektoren und Redaktoren.  Zu den Grösseren im Geschäft gehören «Acad-Write», «Hauck & Autoren» sowie «Ghostwriter.nu», die auf Anfrage auch gar nicht erst bestreiten, dass an Schweizer Hochschulen eine beachtliche Nachfrage nach ihren Dienstleistungen besteht. Am häufigsten würden Anfragen aus dem Bereich der Sozialwissenschaften, der Philosophie und selbst aus der Medizin an sie herangetragen. Auch wenn bis jetzt kaum Disziplinarfälle in der Schweiz bekannt geworden sind, dürfte das Problem inzwischen erhebliche Ausmasse angenommen haben. Mit andern Worten hätte der Plagiatsfall von Karl-Theodor zu Guttenberg, immerhin jüngster Verteidigungsminister in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, oder die Pfuscherei in der Doktorarbeit von Annette Schavan, ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung, genauso gut in der Schweiz wie in Deutschland passieren können, wenngleich die beiden Fälle aus Deutschland vermutlich aufgrund der Stellung von Politikern in der Schweiz für deutlich weniger Aufruhr gesorgt hätten. Öffentlich diskutiert wurde eigentlich nur der Fall der Zürcher FDP-Nationalrätin Doris Fiala, der die ETH Zürich den Mastertitel in «Sicherheitspolitik und Krisenmanagement» aberkannt hat, da ihre Abschlussarbeit mehrfach die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens verletzte. Die Autorin hatte für ihre Masterarbeit zahlreiche Inhalte ohne korrekten Nachweis aus fremden Quellen wie Wikipedia übernommen, weshalb diese, so die ETH, aufgrund einzelner Plagiate im Nachhinein als «nicht bestanden» gelte. Darüber zu streiten, was zum Schluss verwerflicher sei, Texte zu plagieren oder ganze Arbeiten von Dritten erstellen zu lassen, mögen sich andere die Köpfe zerbrechen. In jedem Fall zeugen Unredlichkeiten im Bereich von wissenschaftlichen Arbeiten von einem ausgeprägten Unrechtsbewusstsein, einem mangelnden Interesse an der verfolgten Studienrichtung und nicht zuletzt von einer nur rudimentär ausgebildeten Fähigkeit, sich in seinem Fachgebiet in adäquater Form sprachlich auszudrücken. - Prof. Franz Eberle und sein Bericht zu EVAMAR II lassen grüssen!



Seit Jahren hätten nicht nur Coaching-Agenturen von der Schweizer Bildungsexpansion profitiert, schreibt die NZZ in ihrer Online-Ausgabe vom 6. Januar 2016. Der Bereich der universitären Weiterbildung sei stark gewachsen, jener der Fachhochschulen fast explodiert. Fast jeder Arbeitnehmer spiele heute mit dem Gedanken, ein zusätzliches Bildungszertifikat oder einen akademischen Grad zu erwerben, um seine Karrierechancen zu verbessern. Auch die Arbeitgeber erwarten heute höhere schulische Qualifikationen.

Davon profitieren Autoren im Auftragsverhältnis, so genannte Ghostwriter.   In den letzten Jahren haben verschiedene grössere Agenturen Niederlassungen eröffnet, auch in der Schweiz. Sie begnügen sich nicht damit, Studierende und Doktoranden redaktionell zu beraten, sondern verfassen gegen Bezahlung gleich ganze Arbeiten. Oder genauer: Sie lassen sie verfassen. Denn die Agenturen fungieren nur als Vermittler zwischen Auftraggeber und freien Autoren. Diese tragen für gewöhnlich selbst einen Doktortitel und haben Erfahrung in der wissenschaftlichen Forschung. Um die Legalität zu wahren, weisen die Agenturen ihre Auftraggeber darauf hin, dass sie die Arbeiten nicht als eigenständig verfasste Masterarbeiten oder Dissertationen einreichen können. Offensichtlich verstehen die Agenturen den Begriff des Ghostwritings dahingehend, als dass sie ihren Kunden lediglich eine Mustervorlage erstellen, welche diese dazu verwenden sollten, um selbst eine Arbeit zu verfassen. Diese Vorgehensweise wird als Absichtserklärung jedem Kunden klar kommuniziert. 
Dass es auch anders geht, zeigen Anfragen im Namen von Privatpersonen, die um die komplette Lieferung einer empirischen Doktorarbeit im Bereich der Geisteswissenschaften nachsuchen. Alle angefragten Agenturen oder Anbieter reagieren innerhalb von wenigen Stunden mit einer Offerte. Die Erstellung eines «Exposés inklusive Gliederung und Auswahlbibliographie» kostet je nach Agentur zwischen Franken 2’500 und Franken 3’400. Eine vollständige Dissertation gibt es bereits für Franken 14'000, wobei der Zeitrahmen offengelassen wird.  Oft wird mit keinem Wort erwähnt, dass die wissenschaftliche Arbeit lediglich als Mustervorlage verwendet werden darf.  Eine Agentur beruft sich auf ein aktuelles Urteil, demzufoge das auftragsweise Erstellen von Hochschulabschlussarbeiten zwar gegen die «guten Sitten» verstosse, es sich hierbei jedoch lediglich um ein rechtlich zu missbilligendes «Gewerbe» handle. Sowohl «Ghostwriting» wie «Prostitution» stehen damit auf der gleichen Stufe: Beide sind zwar sittenwidrig, aber nicht verboten. Es scheint, als habe sich der gute Name längst in klingende Münze aufgelöst.  

Umgekehrt lässt sich natürlich auch folgern, dass nicht die akademischen Schreibsklaven einzelner Agenturen das Problem sind. Ohne dass weder Zubringerschulen noch Hochschulen das Problem über Arbeitsgruppen wie HSGYM zu entschärfen vermögen, wird sich am eigentlichen Sachverhalt nichts ändern. Für Thomas Nemet, Geschäftsführer von «Acad Write», ist denn auch klar, dass die eigentliche Ursache des Problems nicht beim Markt liegt. «Wir sind nicht das Problem, » lässt er sich in der NZZ zitieren, sondern das Bildungs- und Universitätssystem. «Würde das Bildungssystem funktionieren, wäre Ghostwriting eine brotlose Kunst», folgert er zu Recht.  Schliesslich gibt es keinen Markt ohne Nachfrage, aber auch keine Nachfrage ohne Markt.


Aller Wahrscheinlichkeit nach werden Dunkelkammern, in denen kluge, ungenannte Köpfe im Geheimen für in der Öffentlichkeit stehende Auftraggeber Frondienst leisten, nicht zu existieren aufhören. Politik und Wissenschaft sind dankbare Abnehmer. Kein Politiker, sei er nun National- oder Ständerat, keine Halbprominenz, die in der «Schweizer Illustrierten» abgefeiert wird, scheint ohne die Mithilfe dienstbarer Geister an die Öffentlichkeit zu treten. - Und wagt sie es trotzdem, ergeben sich Hüftschüsse, die nicht selten danebengehen. Im Klartext ist für viele selbst Twittern nicht ohne Risiko, zumal wenn es um heikle Themen geht wie den Terroranschlag auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift «Charlie Hebdo». Entrüstung lösten dabei Tweets aus der Politik aus, die das Attentat zwar verurteilten, jedoch Mühe bekundeten, den Anschlag angemessen  zu kommentieren. Sätze wie «Satire ist kein Freipass» oder «Humor ist, wenn man trotzdem stirbt» zeugen allenfalls von mangelnder Sensibilität. Im Grunde sind es abgeschmackte, peinliche Äusserungen, verbale Entgleisungen eben, von halbwegs prominenten, in der Öffentlichkeit stehenden Personen einer redseligen Gesellschaft. 

Christoph Frei

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