Akademische Ghostwriter
Ein Gespenst geht um
an Schweizer Universitäten, und zwar in Form des akademischen Ghostwritings.
Dies zumindest bestätigt ein Blick in die einschlägigen Foren der
Studierenden, wo Unternehmen mit einem Stab von spezialisierten
Mitarbeitern, aber auch Einzelpersonen recht unverdeckt ihre Dienste anbieten.
Freilich fördert auch eine einfache Google-Anfrage eine ansehnliche
Liste akademischer Söldner zutage, Einzeltäter wie Unternehmen mit versierten
Lektoren und Redaktoren. Zu den Grösseren im Geschäft gehören
«Acad-Write», «Hauck & Autoren» sowie «Ghostwriter.nu», die auf Anfrage
auch gar nicht erst bestreiten, dass an Schweizer Hochschulen eine beachtliche
Nachfrage nach ihren Dienstleistungen besteht. Am häufigsten würden Anfragen
aus dem Bereich der Sozialwissenschaften, der Philosophie und selbst aus der
Medizin an sie herangetragen. Auch wenn bis jetzt kaum Disziplinarfälle in der
Schweiz bekannt geworden sind, dürfte das Problem inzwischen erhebliche
Ausmasse angenommen haben. Mit andern Worten hätte der Plagiatsfall von
Karl-Theodor zu Guttenberg, immerhin jüngster Verteidigungsminister in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, oder die Pfuscherei
in der Doktorarbeit von Annette Schavan, ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung, genauso gut in der
Schweiz wie in Deutschland passieren können, wenngleich die beiden Fälle aus
Deutschland vermutlich aufgrund der Stellung von Politikern in der Schweiz für
deutlich weniger Aufruhr gesorgt hätten. Öffentlich diskutiert wurde eigentlich
nur der Fall der Zürcher FDP-Nationalrätin Doris Fiala, der die ETH Zürich den
Mastertitel in «Sicherheitspolitik und Krisenmanagement» aberkannt hat, da ihre Abschlussarbeit mehrfach die Regeln des
wissenschaftlichen Arbeitens verletzte. Die Autorin hatte für ihre Masterarbeit
zahlreiche Inhalte ohne korrekten Nachweis aus fremden Quellen wie Wikipedia übernommen, weshalb diese, so die ETH, aufgrund einzelner Plagiate
im Nachhinein als «nicht bestanden» gelte. Darüber zu streiten, was zum Schluss
verwerflicher sei, Texte zu plagieren oder ganze Arbeiten von Dritten erstellen
zu lassen, mögen sich andere die Köpfe zerbrechen. In jedem Fall zeugen
Unredlichkeiten im Bereich von wissenschaftlichen Arbeiten von einem
ausgeprägten Unrechtsbewusstsein, einem mangelnden Interesse an der verfolgten
Studienrichtung und nicht zuletzt von einer nur rudimentär ausgebildeten
Fähigkeit, sich in seinem Fachgebiet in adäquater Form sprachlich auszudrücken.
- Prof. Franz Eberle und sein Bericht zu EVAMAR II lassen grüssen!
Seit Jahren hätten
nicht nur Coaching-Agenturen von der Schweizer Bildungsexpansion profitiert,
schreibt die NZZ in ihrer Online-Ausgabe vom 6. Januar 2016. Der Bereich der
universitären Weiterbildung sei stark gewachsen, jener der Fachhochschulen fast
explodiert. Fast jeder Arbeitnehmer spiele heute mit dem Gedanken, ein
zusätzliches Bildungszertifikat oder einen akademischen Grad zu erwerben, um
seine Karrierechancen zu verbessern. Auch die Arbeitgeber erwarten heute höhere
schulische Qualifikationen.
Davon profitieren
Autoren im Auftragsverhältnis, so genannte Ghostwriter. In den
letzten Jahren haben verschiedene grössere Agenturen Niederlassungen eröffnet,
auch in der Schweiz. Sie begnügen sich nicht damit, Studierende und Doktoranden
redaktionell zu beraten, sondern verfassen gegen Bezahlung gleich ganze
Arbeiten. Oder genauer: Sie lassen sie verfassen. Denn die Agenturen fungieren
nur als Vermittler zwischen Auftraggeber und freien Autoren. Diese tragen für
gewöhnlich selbst einen Doktortitel und haben Erfahrung in der
wissenschaftlichen Forschung. Um die Legalität zu wahren, weisen die Agenturen
ihre Auftraggeber darauf hin, dass sie die Arbeiten nicht als eigenständig
verfasste Masterarbeiten oder Dissertationen einreichen können. Offensichtlich
verstehen die Agenturen den Begriff des Ghostwritings dahingehend, als dass sie
ihren Kunden lediglich eine Mustervorlage erstellen, welche diese dazu
verwenden sollten, um selbst eine Arbeit zu verfassen. Diese Vorgehensweise
wird als Absichtserklärung jedem Kunden klar kommuniziert.
Dass es auch anders
geht, zeigen Anfragen im Namen von Privatpersonen, die um die komplette
Lieferung einer empirischen Doktorarbeit im Bereich der Geisteswissenschaften nachsuchen.
Alle angefragten Agenturen oder Anbieter reagieren innerhalb von wenigen
Stunden mit einer Offerte. Die Erstellung eines «Exposés inklusive Gliederung
und Auswahlbibliographie» kostet je nach Agentur zwischen Franken 2’500 und
Franken 3’400. Eine vollständige Dissertation gibt es bereits für Franken
14'000, wobei der Zeitrahmen offengelassen wird. Oft wird mit keinem Wort
erwähnt, dass die wissenschaftliche Arbeit lediglich als Mustervorlage
verwendet werden darf. Eine Agentur beruft sich auf ein aktuelles Urteil,
demzufoge das auftragsweise Erstellen von Hochschulabschlussarbeiten zwar gegen
die «guten Sitten» verstosse, es sich hierbei jedoch lediglich um ein rechtlich
zu missbilligendes «Gewerbe» handle. Sowohl «Ghostwriting» wie «Prostitution»
stehen damit auf der gleichen Stufe: Beide sind zwar sittenwidrig, aber nicht
verboten. Es scheint, als habe sich der gute Name längst in klingende Münze
aufgelöst.
Umgekehrt lässt sich
natürlich auch folgern, dass nicht die akademischen Schreibsklaven einzelner
Agenturen das Problem sind. Ohne dass weder Zubringerschulen noch Hochschulen
das Problem über Arbeitsgruppen wie HSGYM zu entschärfen vermögen, wird sich am
eigentlichen Sachverhalt nichts ändern. Für Thomas Nemet, Geschäftsführer von
«Acad Write», ist denn auch klar, dass die eigentliche Ursache des Problems
nicht beim Markt liegt. «Wir sind nicht das Problem, » lässt er sich in der NZZ
zitieren, sondern das Bildungs- und Universitätssystem. «Würde das
Bildungssystem funktionieren, wäre Ghostwriting eine brotlose Kunst», folgert
er zu Recht. Schliesslich gibt es keinen Markt ohne Nachfrage, aber auch
keine Nachfrage ohne Markt.
Aller
Wahrscheinlichkeit nach werden Dunkelkammern, in denen kluge, ungenannte Köpfe
im Geheimen für in der Öffentlichkeit stehende Auftraggeber Frondienst leisten,
nicht zu existieren aufhören. Politik und Wissenschaft sind dankbare Abnehmer.
Kein Politiker, sei er nun National- oder Ständerat, keine Halbprominenz, die
in der «Schweizer Illustrierten» abgefeiert wird, scheint ohne die Mithilfe
dienstbarer Geister an die Öffentlichkeit zu treten. - Und wagt sie es
trotzdem, ergeben sich Hüftschüsse, die nicht selten danebengehen. Im Klartext
ist für viele selbst Twittern nicht ohne Risiko, zumal wenn es um heikle Themen
geht wie den Terroranschlag auf die Redaktion der französischen
Satirezeitschrift «Charlie Hebdo». Entrüstung lösten dabei Tweets aus der
Politik aus, die das Attentat zwar verurteilten, jedoch Mühe bekundeten, den
Anschlag angemessen zu kommentieren. Sätze wie «Satire ist kein Freipass»
oder «Humor ist, wenn man trotzdem stirbt» zeugen allenfalls von mangelnder
Sensibilität. Im Grunde sind es abgeschmackte, peinliche Äusserungen, verbale
Entgleisungen eben, von halbwegs prominenten, in der Öffentlichkeit stehenden
Personen einer redseligen Gesellschaft.
Christoph Frei
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen