Studenten
können keine Rechtschreibung
Vorrausetzung“, „wiederrum“,
„Kommulitionen“ - eine genervte Politik-Dozentin berichtet über den
abenteuerlichen Umgang mit der deutschen Sprache in Seminararbeiten.
Ein Gastbeitrag von Hannah Bethke.
Ein Gastbeitrag von Hannah Bethke.
In den Semesterferien gehört es
an deutschen Hochschulen zu den Aufgaben der Dozenten, Hausarbeiten von Studenten
zu korrigieren, die zu einem Thema des von ihnen besuchten Seminars angefertigt
wurden. An einigen Instituten etwas aus der Mode gekommen, gehört das Schreiben
einer Hausarbeit, die in einem Bachelor-Seminar in der Regel etwa 12 bis 15
Seiten umfasst, zum Kern wissenschaftlichen Arbeitens. Nur hier wird sichtbar,
inwieweit der Inhalt der Literatur tatsächlich verstanden und analytisch
durchdrungen wurde und ob die dort (hoffentlich!) gewonnenen Erkenntnisse in
einen wissenschaftlichen Text transformiert werden konnten, der selbständig
geschrieben worden ist.
Was sich dem Leser dieser
Arbeiten mittlerweile zunehmend darbietet, ist nun allerdings eklatant. Man
kann von Glück reden, wenn eine Hausarbeit vorliegt, die Mängel in der
wissenschaftlichen Analyse aufweist - denn das setzt voraus, dass das Einstiegsniveau
immerhin so hoch ist, dass man überhaupt von einer wissenschaftlichen Arbeit
sprechen kann. In erschreckend vielen Fällen lässt sich dies nicht einmal
ansatzweise behaupten. Dabei geht es nicht um wissenschaftstheoretische
Feinheiten, nicht um „Expertenwissen“ und Scheingefechte im belächelten
Elfenbeinturm der Wissenschaft, sondern um eine leider völlig abhanden gekommene
Selbstverständlichkeit, die eigentlich bereits mit dem Erreichen der
Mittelstufe gegeben sein sollte: die Beherrschung der deutschen Grammatik.
Nun ist es nicht nur so, dass
der Konjunktiv I grundsätzlich falsch oder gar nicht angewendet wird
(„Konjunktiv ist das Gegenteil von Imperativ“, lautete eine der abenteuerlichen
Antworten auf meine Nachfrage im Seminar, ob denn jemand erklären könne, worum
es sich beim Konjunktiv wohl handeln könnte), die Regeln der Kommasetzung weder
verstanden noch umgesetzt werden und die Groß- und Kleinschreibung ein großes
Rätsel des Universums zu sein scheint. Es werden vielmehr auch Fehler gemacht,
mit denen man nicht einmal einen Hauptschulabschluss kriegen dürfte - und da
hilft auch nicht der Hinweis auf die flächendeckende Verwirrung, die die
unsägliche Rechtschreibreform hervorgerufen hat: Ein „Beispiel hier führ“
schreibt einer, „ein Probartes Mittel“ eine andere, „vermeidlich“ (die Autorin
meint: vermeintlich), „Vorrausetzung“, „wiederrum“, „Kommulitionen“ (gemeint
ist: Kommilitonen) - der Kreativität der Rechtschreibfehler sind keine Grenzen
gesetzt.
Von „Wiederspruch“ bis
„Wiederspiegeln“
Besonders
beliebt scheint in diesem Semester auch das „ie“ zu sein. Regelmäßig muss ich
lesen: „Wiederstand“, „Wiederspruch“, „wiederspiegeln“. Werden in deutschen
Schulen keine Diktate mehr geschrieben? Das gilt auch für den Satzbau, sofern
man davon überhaupt sprechen kann, denn oft genug handelt es sich nicht um
bloße Fehler in der Satzlogik, sondern schlichtweg um unvollständige Sätze.
Eine tiefgreifende Unkenntnis der deutschen Grammatik liefert auch das folgende
Beispiel, das bei weitem keine Seltenheit ist: „Zu dem (sic!) liege darin die
Gefahr eine Abhängigkeit der personenbezogenen Form der Anerkennung, weg von
der erkämpften worden Selbstachtung.“
Das
Lesen solcher Arbeiten ist nicht nur nicht erfreulich. Es ist eine Zumutung.
Dabei handelt es sich fast ausnahmslos um Studenten, deren Muttersprache
Deutsch ist. Oftmals ist es sogar so, dass ausländische Erasmus-Studenten die
deutsche Grammatik besser beherrschen als ihre deutschen Kommilitonen. Wird
dieser Missstand laut artikuliert, sieht man sich zumeist sofort dem Vorwurf
ausgesetzt, man sei zu streng und dürfe die armen Studenten (oder, um es gemäß
der grassierenden Partizipienseuche zu formulieren, die politisch angeblich
korrekt, sprachlogisch jedoch falsch ist: die „Studierenden“) nicht
überfordern. Immer häufiger wird dies auch mit der Belehrung verbunden, dass es
eine Krankheit gebe, die sich Legasthenie nennt.
Das
argumentative Muster dieser engagierten Kritiker ist bekannt. Hat es sich schon
durchgesetzt, allen, die in der Schule nicht aufpassen oder sich durch anderes
„abweichendes Verhalten“ vom „normalen“ Durchschnitt unterscheiden - ein
Umstand, den jede liberale Gesellschaft eigentlich begrüßen sollte, anstatt
jegliche Normabweichung sofort als pathologisch zu klassifizieren -, die
Krankheit ADHS zuzuschreiben, gelten nun alle, die der deutschen
Rechtschreibung nicht mächtig sind, als Legastheniker. Gibt es auch Tabletten
gegen Rechtschreibfehler? Die Pharmaindustrie würde ein Millionengeschäft
machen. Dabei liegen die Dinge für jeden, der sehen will, klar zutage: An
deutschen Schulen und Universitäten hat eine systematische Niveaunivellierung
stattgefunden, die das Ergebnis einer wachsenden Scheu ist, den Lernenden
gegenüber Grenzen zu ziehen, schlechte Leistungen als solche zu benennen,
Unterschiede zu sehen und zu akzeptieren, anstatt allen - ob sie dafür geeignet
sind oder nicht - alles eröffnen zu wollen.
In
der erschütternden Unkenntnis der deutschen Orthographie drückt sich nicht nur
aus, dass offensichtlich kaum noch Bücher gelesen werden. Sie spiegelt auch ein
Problem wider, das mit der Abschaffung des Frontalunterrichts - die, man glaubt
es nicht, im Jahr 2014 immer noch als innovativ angepriesen wird - eingetreten
ist: Der Verzicht auf Anleitung führt dazu, dass eine Fehlerkontrolle ausbleibt
und die Schüler in ihrem oftmals falschen Selbstbild von ihren Leistungen nicht
nur bestärkt, sondern paradoxerweise gleichzeitig auch alleine gelassen werden.
Allzu oft wird an den Universitäten dieses Problem nicht etwa behoben, sondern
durch die (verantwortungslose!) inflationäre Vergabe guter Noten fortgesetzt.
Ich
will mich nicht einreihen in den Chor derer, die den Untergang des Abendlandes
heraufbeschwören; wenngleich es zur Bestätigung dieser kulturpessimistischen
These sicher lohnenswert wäre, eine Umfrage unter Studenten zu machen, wer von
ihnen überhaupt noch weiß, was das Abendland eigentlich ist - und wie man es
schreibt. Hier halte ich mich vielmehr mit Kant an das hoffnungsvolle
Bestreben, der „langen melancholischen Litanei von Anklagen der Menschheit“ den
Appell an die Mündigkeit, an die Freiheit und an die Änderungsfähigkeit eines
jeden Menschen entgegenzusetzen. Die angeführten Beispiele zeigen jedoch überdeutlich,
dass das deutsche Bildungssystem an gravierenden Stellen versagt. Gymnasien,
die nicht einmal in der Lage sind, dafür zu sorgen, dass ihre Absolventen nach
Erlangen der allgemeinen Hochschulreife die deutsche Rechtschreibung
beherrschen, stellen sich selbst ein Armutszeugnis aus.
Über
kurz oder lang wird dieses System, das bei konsequenter Fortführung zu einer
nachhaltigen Verdummung der Gesellschaft führen würde, keinen Bestand haben. Es
ist zu hoffen, dass der jetzige Bestand eher von kurzer als von langer Dauer
sein wird.
Hannah
Bethke lehrt Politikwissenschaft an der Universität Greifswald.
Quelle:
F.A.Z.