Wie lernt
das Gehirn am besten?
Die Frage, wie das
Gehirn am besten lernt, lässt sich fundamentalphilosophisch natürlich nicht
beantworten, andernfalls müsste das Gehirn ja dazu in der Lage sein, sich beim
Lernen selber zuzusehen. Ebenso wenig wie Kant erklären kann, was die Vernunft
ausmacht, weil der Teil der Vernunft, der die Vernunft erklärt, sich nicht
zugleich miterklären kann, kann Wittgestein nicht erklären, was man unter
Sprache zu verstehen hat, weil wiederum der Teil der Sprache, der die Sprache
zu erklären versucht, sich nicht zugleich mitzuerklären in der Lage ist. Phänomene
wie «Geist», «Sprache» oder «Vernunft» lassen sich eben nicht hintergehen, als
wären es gewobene Teppiche, deren Webart sich dadurch hintergehen lässt, indem man
zum Beispiel den Teppich umdreht. Für den Hausgebrauch lassen sich vielleicht
auf empirischem Weg gewisse Strukturen oder Bedingungen herausschälen, die es
einem zu verstehen erleichtern, unter welchen Voraussetzungen das Gehirn sich
am einfachsten eine neue Sprache merken kann.
Verlage
und Sprachschulen jedenfalls preisen Erfolgsrezepte an, Lehrer schwören auf
persönlich entwickelte Lernmethoden, und unter Lernenden machen Merktipps und
Eselsbrücken die Runde. Das Ziel: Möglichst schnell eine Fremdsprache so gut zu
beherrschen, dass man sie im Alltag einsetzen kann. Auch die Forschung befasst
sich seit vielen Jahren mit der Frage, was beim Fremdsprachenlernen im Gehirn
geschieht. Obwohl auf diesem Forschungsgebiet noch viele Fragen offen sind,
steht schon jetzt fest: Es gibt nicht eine einzige optimale Lernmethode. Aber
es gibt Erkenntnisse, die Sprachlerner berücksichtigen sollten, wenn sie
schnell Erfolge erzielen möchten.
Anders
als ein Wörterbuch gleicht das so genannte mentale Lexikon – unser Wortspeicher
im Gehirn – einem gigantischen Netzwerk: Blitzschnell lassen sich über
unzählige Verknüpfungen die richtigen Wörter und Ausdrücke zu Sätzen
kombinieren. Je besser ein Wort vernetzt ist, desto leichter fällt es uns im
Ernstfall ein.
Um diese
Vernetzung herzustellen, kommt es auf zweierlei an: Quantität und Qualität. Die
Quantität liegt auf der Hand: Wenn wir ein Wort regelmässig verwenden, hat
unser Gehirn es auf Anhieb parat. Auf die Qualität der Vernetzung haben
Fremdsprachenlerner viel Einfluss: Je mehr Erinnerungen, Gefühle oder
Assoziationen wir mit einem Ausdruck verbinden, desto leichter fällt dem Gehirn
der Zugriff darauf. Die Erfahrung kennt jeder, der schon einmal im Gespräch um
eine Vokabel gerungen hat: Wir wissen genau, dass wir das Wort eigentlich
kennen müssten, vielleicht sogar, in welchem Kapitel des Lehrbuchs es auf der
Vokabelliste stand. Aber es fällt uns partout nicht ein, wir ärgern uns sogar
ein bisschen über uns selbst. Bis uns schliesslich jemand mit dem gesuchten
Wort auf die Sprünge hilft. Ab diesem Zeitpunkt bleibt die Vokabel präsent und
ist jederzeit abrufbar – weil wir sie nun mit einer Erinnerung und einem Gefühl
verbinden.
Es gilt
also, mit neuen Vokabeln zu experimentieren: Beispielsätze zu bilden, sich
Situationen auszudenken, in denen wir sie verwenden könnten oder auch einfach
nur darüber nachzudenken, ob wir das Wort schön finden und wenn ja, warum.
Vor allem
Beispielsätze sind perfekte Merkhilfen für das Gehirn. Sprachforscher raten
dazu, Vokabeln grundsätzlich in Wortkombinationen zu lernen. Das hat nämlich
noch einen weiteren Vorteil: Es unterstützt nicht nur die Vernetzung, sondern
kann auch vor mancher Sprach-Stolperfalle bewahren. Wer zum Beispiel einfach
nur lernt, dass Bus auf Englisch «Bus» heisst, formuliert möglicherweise den
falschen Satz: „I drive with the bus“. Lernt man das Wort in typischen
Kombinationen wie «I went by bus» oder «I got off the bus», lassen sich solche
Fehler vermeiden.
Dass
diese Art des Lernens besonders gut auf die Lernweise des Gehirns zugeschnitten
ist, zeigt die Erforschung des kindlichen Spracherwerbs. Kinder lernen in ihrer Muttersprache zunächst feste Ausdrücke und
erst später einzelne Wörter. Zum Beispiel wissen sie früh, dass immer beim Zubettgehen
„Gute Nacht!“ gesagt wird. Erst viel später analysiert ihr Gehirn, dass es sich
um zwei voneinander unabhängige Wörter handelt.
Möglicherweise
sind Reisen die beste Gelegenheit, um ins Sprachbad einzutauchen. Aber auch zu
Hause gibt es viele Möglichkeiten zum Üben. Hirnforscher wissen: Unser Gehirn
lernt fast von allein, sofern wir genügend Input und Gelegenheit zum Üben
erhalten. Jede Situation, in der echte Kommunikation stattfindet, in der es
also nicht um das Lernen, sondern um andere Inhalte geht, ist deshalb hilfreich
für das Sprachenlernen. Auch als Erwachsene können wir noch von dieser
angeborenen Sprachlernfähigkeit profitieren. In der Praxis ist es allerdings
nicht immer leicht, Übungsgelegenheiten zu finden, denn eine echte
Notwendigkeit, eine Fremdsprache anzuwenden, besteht im eigenen Alltag selten.
Einige
Gelegenheiten, um ins Sprachbad einzutauchen, kann sich aber jeder Lernwillige
selbst schaffen. So bieten etwa DVDs die Möglichkeit, Filme oder Serien in der
Originalsprache zu sehen. Untertitel allerdings sollten, wenn überhaupt, nur in
der Fremdsprache zugeschaltet werden: Studien zeigen, dass es kaum Lerneffekte
gibt, wenn die Untertitel in der Muttersprache mitlaufen. Auch das
Internet lässt sich zum Sprachenlernen einsetzen. Wer zum Beispiel zu seinem
Lieblingsthema Beiträge in einem fremdsprachlichen Forum postet, in einer
anderen Sprache chattet oder twittert, ist schon mitten drin in der Interaktion
und dem Lernprozess.
Auch wer
gern bei seinen englischen Lieblingssongs mitsingt, tut dabei fast nebenbei
etwas für seine Fremdsprachenkenntnisse – schließlich lernen wir mit den
Songtexten einen längeren Text auswendig, und der wiederum liefert eine Fülle
an Wortkombinationen, die den Wortschatz erweitern können. Voraussetzung ist
allerdings, dass wir nicht nur gedankenlos mitträllern, sondern uns auch mit
dem Text beschäftigen – zum Beispiel, indem wir uns fragen, ob wir selbst diese
Worte gewählt hätten oder wie wir uns stattdessen ausgedrückt hätten.
Ohne Spass
kein Preis
Ob DVD,
Internet oder Sprachkurs – Hauptsache, das Lernen macht Spass. Denn negative
Gefühle sind Gift für das Lernen: Bei Langeweile, Angst oder Erfolgsdruck
versagt das Gehirn seine Dienste. Der Grund: Das Limbische System, das im
Gehirn für Belohnungen zuständig ist, spielt nicht mehr mit. Die Zusammenarbeit
der Nervenbahnen verlangsamt sich, die Konzentration auf das Lernen fällt
schwerer. Da trifft sich gut, dass Forscher bei einem traditionell besonders
gefürchteten Lernkapitel Entwarnung geben können: Wer glaubt, die Grammatik
nicht gut genug zu beherrschen, sollte nicht allzu betrübt sein. Zahlreiche
Studien zeigen, dass Grammatikfehler für die Kommunikation nicht besonders
störend sind.
Dass man
Fremdsprachen im Schlaf erlernen kann, wie hier und da in der Werbung
propagiert wird, oder mit einer bestimmten Methode in drei Wochen eine neue
Sprache spricht, ist nartürlich Unsinn. Hier handelt es sich um eine grobe Täuschung des Kunden,
dem man einfach etwas andrehen will, um Geld zu machen. Sicher kein sehr weises
Geschäftsmodell, das sich über längere Zeit bewähren wird.