Bloggst
Du auch?
Alle schreiben sogenannte Blogs, Du auch? Beim
„Tages Anzeiger“ sind es zur Zeit Philipp Tingler, Martin Spieler, Gabriela
Braun, Janette Kuster oder Nadia Meier. Bevorzugte Themen heissen „Alltag“,
„Kinder“, „Sex&Liebe“, „Schule“, ,,Job“, „Schwangerschaft“, kurz, sie
scheinen sich alle mit dem übergeordneten Thema Lifestyle zu beschäftigen, die
sogenannten Blogger. Das oder auch der Blog ist ein auf einer Webseite
geführtes und damit meist öffentlich einsehbares Tagebuch oder Journal, in dem
mindestens eine Person, der Blogger nämlich, Aufzeichnungen führt, Sachverhalte
protokolliert, also postet, oder Gedanken von allgemeinem oder weniger
allgemeinem Interesse niederschreibt. Oft ist ein Blog eine chronologisch
abwärts sortierte Liste von Einträgen. Die Bloggerin oder der Blogger ist Hauptverfasserin
oder Hauptverfasser des Inhalts. Die Beiträge sind häufig in der Ich-Perspektive
geschrieben. Der Blog bildet ein Medium
zur Darstellung von Aspekten des eigenen Lebens und von Meinungen zu
spezifischen Themen, je nach Professionalität bis in die Nähe einer Internet
Zeitung mit besonderem Gewicht auf Kommentaren. In der Regel sind auch
Kommentare oder Diskussionen der Leser über einen Artikel möglich. Damit kann
das Medium sowohl dem Ablegen von Notizen in einem Zettelkasten, dem
Zugänglichmachen von Informationen, Gedanken und Erfahrungen, etwas
untergeordnet, der Kommunikation dienen, vergleichbar einem Internetforum. Charakteristische
Merkmale dieser Kommunikationsform sind die Individualisierung der
Kommunikation, die Verlinkung und Vernetzung der Webkommunikation bis hin zur
Blogsphäre, die Interaktivität aller Beteiligten sowie die Aufhebung der Grenze
zwischen Rezipient und Produzent und damit auch zwischen professionellen Bloggern
und interessierten Laien, die sich am Schluss jedes Blogs während einer
unbestimmten Zeit im eingeloggten Bereich zu Wort melden können. Ein weiteres
Merkmal der Blogartikel ist die Tatsache, dass die nicht in gerdruckter Form als
Buch erhältlich sind. Gehören somit Bloggerinnen und Blogger zur zweiten Liga
aller Schreibenden? Zur ersten sicher nicht, wie der „Tages Anzeiger“ mit
seinen beiden Hausautorinnen Laura de Weck und Hazel Brugger belegt.
Weder
Laura de Weck noch Hazel Brugger werden von der Zeitung als Bloggerin
bezeichnet. Laura de Weck gilt als normale Kolumnistin, auch wenn sie fast nur
in Dialogform schreibt, während Hazel Brugger für die Zeitschrift „Das Magazin“
Kolumnen schreibt. Die Zeitung nennt sie
„Author@Das Magazin“. Ausserdem war Hazel
Brugger von 2013 bis 2014 Kolumnistin für „Hochparterre“ und für die „Tages
Woche.“ Sie moderiert den Live-Talk „Hazel Brugger Show and Tell“ im Zürcher
„Theater am Neumarkt“. Darüber hinaus gewann sie am 19. Oktober 2013 den "Schweizer
Meister"-Titel im Poetry-Slam bei den vierten Poetry-Slam-Meisterschaften.
Im November 2015 startete sie ihr erstes abendfüllendes Kabarettprogramm „Hazel Brugger passiert“ und 2016
wählte sie das Branchenmagazin „Schweizer Journalist“ zur «Schweizer
Kolumnistin des Jahres». Zu guter Letzt gewann sie 2017 den vielleicht renommiertesten
Kleinkunstpreis im deutschsprachigen Raum, den „Salzburger Stier“.
Jemand
wie Hazel Brugger kann natürlich keine Bloggerin sein, zumal ihre Kolumnen wie
auch jene von Laura de Weck letztes Jahr in Buchform unter dem Titel „Ich bin
so hübsch“ im Verlag „Kein & Aber“ erschienen sind. Ist das also der
Unterschied zwischen einer Bloggerin und einer angehenden oder bereits arrivierten Schriftstellerin?
Der
Verlag beantwortet die Frage negativ, wenn er die Texte seiner Autorin auf dem
Buchumschlag mit den Worten vorstellt: „Metzgerporno, Henkersmahlzeit und der
Hoden der Nation – Hazel Brugger nimmt die ganz grossen Themen des Lebens in
Angriff. Ihre Texte sind wie eine Sahnetorte im Gesicht: lustig und schmerzhaft
in einem, sehr süss und zugleich etwas eklig.“ Offensichtlich setzt man auf political
incorrectness, was
aufzugehen scheint, liegt doch die Textsammlung bereits in der vierten Auflage
vor. Die Texte von Hazel Brugger lesen sich dann ein bisschen so, als hätte sie
den Text auf dem Buchrücken gleich selber verfasst. Unter dem Titel „Ein echter
Klassiker“ ist entsprechend zu lesen:
Das Brot des Kleinkünstlers sind der
Applaus und das Geld des Publikums, sein Schicksal ist, dass er niemals einen
echten Klassiker kreieren wird. Irgendwie schade, irgendwie auch total legitim.
Bald trete ich in der Tonhalle
Zürich auf. Wieder mal so ein Experiment, wo Grosskunst auf Kleinkunst trifft
und man mich urteilend beäugen wird, bis mir vor lauter Hochkultur ganz
schummrig wird. Das ist, als würde sich der Sternekoch nachts heimlich ein
kaltes Happy Meal reinstopfen. Schön angezogene Figuren, die von
Konservatorium zu Conservatoire
gepeitscht wurden, ihr Instrument so lange spielten, bis sie es zu hassen
lernten, faule Genies und fleissige Motivierte, werden auf der Bühne
brillieren. Und als Opening Act: ich, die ich stetig davon ablenken muss, dass
seit dem Schulabschluss bildungstechnisch rein gar nichts mehr mit mir passiert
ist.
Kleinkunst eben, der flüchtige Furz im
Universum des Kulturgeschehens.
Hazel Brugger gilt als Schnelldenkerin, die ihrem
Publikum immer einen entscheidenden Gedanken voraus ist. Wem ihre Beiträge
gefallen, bekommt die volle Dröhnung Wortakrobatik und Hochseilrhetorik.
Vermutlich gibt es zur Zeit keine andere Schriftstellerin in der Schweiz, die
der Gesellschaft derart intelligent und radikal den Spiegel vorhält, da sie
über einen Sprachsinn verfügt, der Texte möglich macht, die man so noch nicht
gehört oder gelesen hat. Hazel Brugger ist also unvergleichlich schonungslos
und unverschämt scharfzüngig. Mit ihrem Röntgenblick zerlegt sie den Schweizer
Alltag in Einzelteile und führt ihre Leser dabei stets über einen schmalen
Grat. Mal still, mal wild, aber immer sehr komisch. Dieser Frau kommen völlig
locker Boshaftigkeiten über die Lippen, die andere nicht einmal zu denken
wagen. Hier liegt wohl der Hauptgrund ihres Erfolgs: Brugger erkennt die Gemeinheiten
des Alltags, benennt sie ungeniert, schaukelt sie hoch ins Absurde – und
verhilft dem Publikum nach dem schockierenden Blick in den Spiegel zum
befreienden Lachen. Das ist die schönste seelische Reinigung nach aristotelischem
Vorbild. Nicht von ungefähr studiert die Slam-Schweizermeisterin an der
Universität Zürich Philosophie. „Das heisst, ich bin eingeschrieben“,
relativiert sie.
Bruggers Performances könnten morbid wirken, wäre da
nicht ihr Sprachwitz. Und der Kontrast zu ihrem Äusseren. Die Slam-Poetin ist
sich sehr wohl bewusst, dass sie bestimmte Dinge aussprechen darf, gerade weil
sie jung ist. Doch für Brugger ist auch klar: „Jede Form von Humor ist
aggressiv.“ Humor werfe einen wie in ein Paralleluniversum – aber das müsse
stimmig und in sich geschlossen sein. Hazel Brugger ist auf gutem Weg, ihren
Humor in die Welt hinaus zu tragen. Den klassischen Klassenclown wollte sie
jedoch nie spielen. Vielmehr ist Brugger für uns, die wir im Alltag den
braven Dr. Jekyll geben, die misanthrope Misses Hyde, die unsere verborgenen
schwarzen Gedanken hervorkitzelt. Sitzen wir den ganzen Tag als Beamter im Büro
oder stehen als Lehrerin vor der Klasse, werden wir bereits schief angeschaut,
wenn uns mal ein böser Fluch entwischt. Umso nötiger brauchen wir ab und zu
eine Leierkastenfrau, die das Hamsterrad unserer Konventionen dreht.
Christoph
Frei
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