Dienstag, 18. April 2017

Gymnasium, quo vadis?




Nicht gleiche, aber doch faire Chancen für alle Schülerinnen und Schüler im Übertritt an die Mittelschulen des Kantons sollten eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Verschiedene Entwicklungen der letzten Jahre haben diese Selbstverständlichkeit allerdings in Frage gestellt. Eine  Gruppe von Lehrpersonen, Schulleiterinnen und Schulleitern sowie Vertretungen von Verbänden und Ämtern nahm deshalb die Arbeit auf, um im Projekt VSGYM / Volksschule – Gymnasium  die Schnittstellen zwischen den beiden Schulstufen näher zu untersuchen. Ziel war es, den Übergang für die Schülerinnen und Schüler zu verbessern, allfällige Schwierigkeiten zu eruieren und im Dialog das Vertrauen zwischen der Volksschule und der Mittelschule zu stärken. Zu sieben Fächern bzw. Fachbereichen präsentiert VSGYM nun Analysen und Vorschläge für Massnahmen, mit denen die Schnittstelle optimiert werden kann. Die Ergebnisse des Dialogs in den einzelnen Fächern bzw. Fachbereichen wurden am VSGYM-Regionaldialog ein erstes Mal am Mittwoch, den 29. März 2017, an der Kantonsschule Stadelhofen mit Vertreterinnen und Vertretern von Sekundar- und Mittelschulen im Sinne einer Vernehmlassung diskutiert.


Im Hinblick auf die Ergebnisse der einzelnen Fachgruppen lassen sich vier Schwerpunkte herausschälen:


Erstens befinden wir uns in einer Phase des Umbruchs, der die Schnittstelle direkt oder indirekt betrifft.   So wird in der Sekundarschule der Lehrplan 21 eingeführt; Stundentafel und Lehrmittel müssen entsprechend angepasst werden.  Das Aufnahmeverfahren soll, so der Beschluss des Bildungsrates, zu einem Vorprojekt mit einer Reihe von neuen Eckwerten verändert werden, zu denen beispielsweise die Wiedereinführung der Anrechnung von Vornoten und die Veränderung der Prüfungsmodalitäten gehören. Künftig sollen nur noch die Fächer Deutsch und Mathematik geprüft werden, die mündliche Prüfung fällt weg. (Gegenwärtig wird die Probezeit an den Gymnasien evaluiert. Die Ausfallquote in der Probezeit und das Verhältnis von Aufnahmequote an Unter- und Kurzgymnasien sind Gegenstand von internen und externen Diskussionen, da man allgemein annimmt, dass zu viele Kandidatinnen und Kandidaten aufgenommen werden, die dann in der Probezeit fallieren.)


Zweitens wird der Lehrplan 21 die Lehr- und Lernmethoden beeinflussen oder die Entwicklung der letzten Jahre weiterführen. Die Gymnasien werden dadurch vermehrt mit Neuerungen bei den Lehr- und Lernmethoden konfrontiert sein und ihrerseits darauf reagieren müssen. Sie müssen ihre Didaktik vor allem in der Probezeit überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Im Sprachunterricht der Sekundarschule, so die Feststellung der Fachgruppen, hat sich der Fokus von der Arbeit an der schriftlichen Sprache und der formalen Korrektheit teilweise hin zu Kompetenzen in der mündlichen Kommunikation verschoben. Einem Teil der Schülerinnen und Schüler fehlt, so der Befund aus den Fachgruppen Deutsch und Französisch, beim Eintritt in das Gymnasium die kognitive Neugierde und das Durchhaltevermögen für ein Gymnasium.


Drittens fehlt es in der Sekundarschule  an Zeit für die vielfältigen Aufgaben und für die Verstetigung des überfachlichen und fachlichen Wissens und Könnens, die für den Übertritt bedeutsam sind. Ein Teil der beteiligten Lehrpersonen beklagt denn auch die zu tiefe Lektionenzahl in ihrem Fach in der Sekundarschule.  Aber auch von Lehrpersonen der Gymnasien wird der Mangel an Zeit thematisiert. Mit der Verkürzung der Gymnasialdauer und den steigenden Anforderungen der Hochschulen sei ein zusätzlicher Druck entstanden, der sich auch auf die Probezeit und die Betreuung der Schülerinnen und Schüler auswirke, die in ein Gymnasium eintreten. Auch die Erhöhung der Pensen der Sprachlehrpersonen im Rahmen der Leistungsüberprüfung 16 hat diesbezüglich negative Auswirkungen. Die Forderungen des Lehrplans und die Möglichkeiten an den Schulen geraten so zunehmend in ein Missverhältnis.


Viertens stellt der Umgang mit der Heterogenität sowohl für die Sekundarschulen wie auch die Gymnasien eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. Besonderes Augenmerk muss dabei der Zusammenführung von Schülerinnen und Schülern aus dem Untergymnasium mit jenen aus der 2. und 3. Sekundarschule geschenkt werden. Allenfalls ist diesbezüglich die Klassenbildung an den Gymnasien zu überprüfen. Festgestellt wird in den Gymnasien aber auch eine Heterogenität, die auf unterschiedliche Sekundarschulen zurückzuführen ist. So macht es zum Beispiel einen Unterschied, ob an einer Sekundarschule niveaudurchmischte Klassen geführt werden oder nicht.


Am Schluss der Veranstaltung fasste Markus Huber, Vizepräsident der LKM, die von den Fachgruppen unterbreiteten Vorschläge zusammen, die sich an die Lehrpersonen der beiden Stufen sowie an die Ämter und den Lehrmittelverlag  richten.  


Grundsätzlich ist ein starkes Bekenntnis zum VSGYM-Dialog spürbar. Die Beteiligten begegnen sich auf Augenhöhe. Es ist ihnen ein zentrales Anliegen, den künftigen Schülerinnen und Schülern möglichst faire Chancen zu ermöglichen, damit sie den Übertritt meistern. Die Lehrpersonen der beiden Stufen sind bestrebt, das gemeinsame Verständnis für die Schnittstelle weiterzuentwickeln und die Reformen und Veränderungen auf den beiden Stufen intensiver als bisher zu begleiten. Ziel sollte sein, dass Lehrpersonen der Gymnasien die Sekundarschule und ihre Entwicklungen besser kennen lernen und umgekehrt den Lehrpersonen der Sekundarschulen die Anfor-derungen an den Gymnasien bekannt sind. Dazu gehört auch, den Unterricht, die Lehrmittel und den Lehrplan der jeweils anderen Stufe zu kennen. Hierzu sollen Informationsveranstaltungen und Weiterbildungen organisiert werden. Empfohlen werden auch gegenseitige Unterrichtsbesuche und der Aufbau einer Website für den Austausch von Information. - Entscheidend für den guten Übergang ist das Interesse der Lehrpersonen für die jeweils andere Stufe. Ein kontinuierlicher Austausch zwischen Lehrpersonen und Bildungsverantwortlichen kann diesem Interesse einen verlässlichen Rahmen gewähren. Auch wird darauf hingewiesen, dass vertiefte Analysen und Daten zur Schnittstelle fehlen, die für die weiteren Massnahmen von Belang sind.  


In der Diskussion des Überganges ist zu unterscheiden zwischen dem Anschlussprogramm für die Prüfung und dem Anschluss an das Gymnasium bzw. die Probezeit. Die gegenseitigen Erwartungen der Stufen sollen im Hinblick auf den Übergang geklärt werden. Einzelne Fachgruppen empfehlen, im Anschlussprogramm zentrale Themen aufzulisten oder zu priorisieren. Wie im Fach Mathematik sollen auch in weiteren Fächern fakultative Trainings zur Vorbereitung auf die Probezeit entwickelt werden, die den Schülerinnen und Schülern an den Sekundarschulen nach bestandener Prüfung als ergänzendes Übungsmaterial zur Verfügung gestellt werden. Die Zeit zwischen bestandener Aufnahmeprüfung und Eintritt in das Gymnasium müsste besser genutzt werden können. In der 3. Sekundarschule stehen dafür unter anderem Wahlfächer zur Verfügung. In der 2. Sekundarschule ist es allerdings schwieriger, geeignete Zeitfenster zu finden.


An die Adresse der Sekundarschule richtet sich der Wunsch, die Basis- und Grundkompetenzen, die im Lehrplan festgehalten sind, nach Möglichkeit zu festigen. Dem Üben, den Automatismen und der Genauigkeit ist dabei besondere Beachtung zu schenken. In diesem Zusammenhang wird in einzelnen Fächern die Bedeutung von formalen Aspekten hervorgehoben wie bei der Algebra; bei den Sprachfächern wird die Bedeutung der Teilkompetenz Schreiben akzentuiert, aber auch die Bedeutung der grammatikalischen Grundlagen und Terminologien wie auch die Bedeutung der sprachlichen Genauigkeit.


Sekundarschulen wünschen und erwarten von den Gymnasien, dass sie den Schülerinnen und Schülern, aber auch den abgebenden Schulen mit realistischen Vorstellungen begegnen und ihren Unterricht gegebenenfalls anpassen. Gefordert wird explizit, dass die Schulen auf der Basis der Sekundarschule aufbauen. Dazu gehört, dass die Lehrpersonen der Gymnasien den Lehrplan 21, den Stellwerktest 8 und die Lehrmittel der Sekundarschule in ihren Grundzügen kennen.


An die Adresse der Ämter und des Lehrmittelverlags richtet sich die Erwartung, dass sie die Umsetzung des Lehrplans 21 für die  Lehrpersonen beider Stufen gut begleiten. Ausserdem müssten bessere Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit geschaffen und zum Beispiel Ressourcen für Weiterbildungen zur Verfügung gestellt werden. Auch die Rahmenbedingungen für Lehrpersonen an der Zentralen Aufnahmeprüfung lassen sich verbessern. Es sollen Lehrmittel, Ergänzungsmaterialien wie  Sternchen-Aufgaben und didaktische Hilfen entwickelt werden, die den Schülerinnen und Schülern mit dem Ziel Gymnasium Zusatzstoff liefern und damit den Übergang erleichtern. (Die Forderung, dass Lehrpersonen bei der Entwicklung der Lehrmittel in einem längerfristigen Prozess einbezogen werden, ist mittlerweile weitgehend realisiert.)


Zum Schluss der Veranstaltung bedankt sich Urs Schällibaum, Prorektor der Kantonsschule Stadelhofen, bei allen Beteiligten für ihr Engagement für die Schnittstelle und die Jugend. Er betont, VSGYM sei  eine Initiative aus dem Schulfeld und ein Beweis dafür, wie viel Verantwortung Lehrpersonen zu übernehmen gewillt seien und wie wichtig es sei, ihnen diese Verantwortung und das damit verbundene Vertrauen als zentrale Faktoren für das Gelingen von Bildung zu geben.


Christoph Frei

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