Montag, 12. Dezember 2016

Wie ich meine Schreibblockade überwunden habe








Grosse Sehnsucht Schreiben

„Ein alter Fehler von mir bestand darin“, sagte Andreas, „in Zeiten des Schreibkrampfes in Notiz- und Arbeitsbüchern nach passenden Folgeformulierungen zu suchen, wodurch, wie du dir denken kannst, der Sinn für das Ganze unweigerlich verloren gehen musste. Mit verklebtem Gehirn sass ich dann am Tisch, verzweifelt über meine Unzulänglichkeit, und wusste doch, dass ich mich frei schreiben sollte, um in jenem Zustand einzupendeln, der es mir erlauben würde, ungestört einen Gedankenfluss entstehen zu lassen. Früher erschien mir das Schreiben wie ein Kampf, den ich gegen meine Sprachverwirrung auszufechten hatte. Jeder Formulierungsversuch war eine Konfrontation mit meiner Sprachstörung, der, wie ich glaubte, nur unter Einsatz aller mir zur Verfügung stehenden Mittel beizukommen war, worunter selbstverständlich das spielerische Element litt, die Lockerheit, welche nötig gewesen wäre in der Erprobung meiner sprachlichen Möglichkeiten. Oft bin ich, verspannt und eingeschüchtert, bereits mit dem ersten Satz, den ich am Morgen formulierte, in die Falle gegangen, wusste nachher nicht weiter, so dass ich den ersten Satz, den ich geschrieben hatte, immer von Neuem zu verbessern suchte, hielt aber gleichwohl mit jedem neuen Anlauf an dem am Vortag gefassten Vorsatz fest, mir in der totalen Verausgabung endlich den Weg zur grossen Form zu ebnen. Nie war es mir möglich, beim Schreiben dieselbe Haltung wie sonst im Leben einzunehmen. Die Beschäftigung mit Sprache verwandelte sich zu einem geistigen Sperrbezirk, zu einem Ausnahmeterritorium der Erfolgslosigkeit, in dem es mir verwehrt war, etwas, das nur durch mich möglich gewesen wäre, zu verwirklichen. Obwohl Schreiben als Tätigkeit zum Allerschwierigsten wurde, ja vielleicht neben dem Sterben zum Schwierigsten, Anstrengendsten überhaupt, wie ich mir damals vorstellte, war ich andererseits auch davon überzeugt, dass die Schrift in gelungener Form für mich zum Beglückendsten zählen würde, das ich erfahren konnte, weshalb ich mir auch an keinem Tag die Möglichkeit verbauen wollte, den in mir schlummernden Sprachquell aufzuspüren. Schreiben als grosse Sehnsucht.“

„Was es heisst, zur Sprache zu kommen“, fuhr Andreas weiter, „erfuhr ich freilich erst, seit ich nach meiner Rückkehr damit begonnen habe, jeden Tag am Morgen während einer halben Stunde in den Wäldern über dem See zu laufen. Indem ich mich auf einen Bewegungsablauf einlasse, wächst mir Sprache zu, kann ich doch, während ich laufe, nicht überhören, wer ich bin. Anders als im Stimmengewirr der grossen amerikanischen Städte, wo ich vielen unbekannten Einflüsterungen ausgesetzt war, denen ich nachgehen musste, komme ich, indem ich immer dasselbe tue, an einen Ruhepunkt, der es mir erlaubt, die mir eigene Stimme zu vernehmen. Gleichzeitig wurde das Laufen zu einer alles bestimmenden Metapher für das Schreiben. Da beides im Grunde etwas Vegetatives ist, muss man so schreiben, wie man läuft. So wie man locker einen Fuss vor den andern setzt, muss man selbst verloren, das heisst, ohne dass man es besonders gut machen will, Wort an Wort reihen. Vor allem darf man beim Schreiben nicht grübeln, wie man ja auch beim Laufen nicht unentwegt anhalten soll, um zu verschnaufen.“

„Damit ich beim Formulieren den Faden nicht verliere, bemühe ich mich also, den Rhythmus des Laufens schreibend umzusetzen, was zur Folge hat, dass ich in Zeiten geistiger Kraftlosigkeit auch nicht länger das Schweigemeer beklage und darauf hoffe, die grosse Form werde sich quasi von allein einstellen. Schliesslich kann ich im schöpferischen Versagen das zu Schreibende nicht schon im Voraus klar strukturiert und gegliedert erschauen. Ergo hat es auch keinen Sinn, unentwegt die Arbeitsunterlagen zu konsultieren, um nach treffenden Folgeformulierungen zu suchen oder, wie unter einem Zwang stehend, unentwegt am gleichen Satz herumzufeilen, was im Falle meiner sportlichen Betätigung ja darauf hinauslaufen würde, ohne Unterlass einen Schritt vorwärts und einen rückwärts zu machen, wodurch sich selbstredend weder Trägheitsmoment noch Arhythmus überwinden liessen. – Idealerweise muss man es schreiben lassen, muss, indem man einen Sachverhalt, gleichviel, wie komplex er ist, ruhig und absichtslos in Worte fasst, von den eigenen Formulierungen mitgenommen werden, muss sich schreibend, ohne inne zu halten, in die einem gemässe Sprachmelodie hineinhören, deren Harmonie einen trägt, um sich so von den eigenen Wörtern und Sätzen treiben zu lassen, bis man endlich, selbstvergessen und in sich versunken, von der Sprache geführt wird und den Text, ohne dass man weiss, wie einem geschieht, zu Ende schreibt.“

Christoph Frei



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